Phototachymetrie:
Eine Methode zur Bauaufnahme
und zur Erstellung eines
virtuellen Modells
Allgemeines
Die Methode
verknüpft aufs Engste
Elemente von Photogrammetrie
und Tachymetrie mit dem
Ziel, die Objektgeometrie zu
bestimmen und sie
gleichzeitig mit
photorealistischer Textur
zur Visualisierung zu
belegen. Der Begriff
Phototachymetrie
symbolisiert diese Symbiose.
Prädestiniert zur Aufnahme
von Bauwerken, die sich
durch geometrische
Regelkörper repräsentieren
lassen, kommt die Methode
mit den Werkzeugen
Tachymeter und Digitalkamera
aus. Aufnahme und Auswertung
können vor Ort erfolgen oder
- wie in Photogrammetrie und
Laserscanning -
zeitversetzt.
Phototacheometry
combines elements of
photogrammetry and
tacheometry. It is
predestined for mainly
even surfaced regular
shaped buildings. Geometry
and photorealistic visual
model are obtained in one
step on-site. Another
possibility to use it is
to make only necessary
measurements and photos
on-site and to work it out
in the office.
Instrumentelle
Voraussetzungen
Hardwareseitig benötigt man
ein reflektorlos messendes
Tachymeter, häufig auch als
Totalstation bezeichnet, ein
Notebook für die Arbeit vor
Ort sowie eine
Digitalkamera, also
gebräuchliche Gerätschaften
aus der Vermessungspraxis.
Wünschenswert, nicht
zwingend, ist eine
motorisierte Totalstation:
Sie ermöglicht zusätzliche
bequeme Arbeitsweisen
(s.u.), denn sie kann über
das Notebook gesteuert
werden.
Vorbereitende
Arbeiten:Aufnahme und
Orientierung der Bilder
Die
Bildorientierung
vor Ort ist wesentlich
einfacher realisierbar als
gemeinhin in der
Photogrammetrie: Die
Passpunktkoordinaten müssen
nicht mühsam den
Bildkoordinaten zugeordnet
werden; stattdessen wird ein
markanter Punkt im Bild
ausgewählt und mit der
Totalstation der
entsprechende Objektpunkt
direkt angemessen. Objekt-
und Bildkoordinaten gewinnt
man so quasi simultan. Der
Prozess des Identifizierens
und des Referenzierens
entfällt. So geschieht die
äußereOrientierung schnell,
automatisch und
programmgeführt.
Der
phototachymetrischeArbeitsprozess
Die
Phototachymetrie
nutzt sowohl Elemente der
Tachymetrie als auch der
Photo-grammetrie:
Ein
Bauwerk
lässt sich i. a. aus
regelmäßigen geometrischen
Grundformen, z. B. Ebene,
Kegelstumpf oder
Kugelausschnitt,
modellieren. Diese
generalisierenden
Regelkörper, die
geometrischen Primitiven,
sind mit wenigen Messpunkten
tachymetrisch zu bestimmen,
eine Ebene z.B. über drei
Raumpunkte. Da diese Punkte
bezüglich der geometrischen
Figur beliebig liegen
dürfen, ist kein genaues
Anzielen nötig. Diese
Messungen sind der Anteil
der Tachymetrie an der
Methode. Im ersten
Verfahrensschritt
erfolgt also die
tachymetrische Bestimmung
der Geometrie bzw. derräumlichen
Lage eines Regelkörpers.
Zur
Begrenzung des Regelkörpers
– im Beispiel also der
Übergang von der Ebene zur
Fläche -, wird im zweiten Schritt
das orientierte Bild des
Objekts benutzt: Zu jedem
Bildpunkt, z.B. einer
Gebäudeecke, gehört ein
Bildstrahl. Dieser wird wie
in der Photogrammetrie
üblich rekonstruiert und
dann mit dem tachymetrisch
bestimmten Regelkörper
geschnitten. Dies ergibt die
Koordinaten
des Eckpunktes. Die Abfolge
von Punkten legt ein
Begrenzungspolygon fest.
Automatisch erfolgt die
Entzerrung der
eingeschlossenen Bildfläche.
Diese entzerrte
Orthogonal-Ansicht des
Bildausschnittes dient als Textur
für das photorealistische
Modell. Da sich Bild und
Totalstation die Aufgabe der
Koordinatenbestimmung
teilen, entfällt das
photogrammetrische
Erfordernis der
Bildüberdeckung bei
ausreichend großer Basis:
Alle Partien des Objekts
müssen prinzipiell nur
einmal fotografiert werden.
Aufbau
des
3D-Modells
Die
phototachymetrisch
bestimmten
Koordinaten und die
zugehörigen zur
photorealistischen
Texturierung
entzerrten
Bildausschnitte
werden unmittelbar
nach deren Erzeugung
automatisch zur
Betrachtung mit den
handelsüblichen
Viewern z. B. im
VRML-Format
aufbereitet. Die
Entstehung des
dreidimensionalen
virtuellen,
texturierten Modells
kann so schon vor
Ort beobachtetwerden
und seine
Vollständigkeit und
Richtigkeit sind
überprüfbar.
Weitergehende
Automationsschritte
a)
Steuerung der
Totalstation über
die Bilder
Eine
reflektorlos
messende
Totalstation kann
entweder manuell
oder motorisch
ausgerichtet werden.
Die motorisierte
Totalstation lässt
sich jedoch
komfortabel über das
orientierte Bild
steuern:
Beim Klick
ins Bild fährt sie
automatisch den
zugehörigen
Objektpunkt an, und
die Koordinate wird
gemessen. Dies
ermöglicht eine
besonders rasche
Bestimmung der
bauwerksbeschreibenden
Regelkörper. Ist die
Totalstation darüber
hinaus kabellos mit
dem Notebook
verbunden, kann sie
günstig zum Objekt
platziert werden,
während man sich mit
dem Notebook direkt
am Bauwerk aufhält.
b)
Aufnahme
unregelmäßiger
Objekttopografie
Bei
der dargestellten
typischen
zweistufigen
Vorgehensweise der
Phototachymetrie
wird im ersten
Schritt die
geometrische
Grundfigur
tachymetrisch
bestimmt und im
zweitenwerden
die Punktkoordinaten
über den Schnitt mit
dem Bildstrahl
ermittelt. Ein
Dreieck lässt sich
jedoch in einem
einzigen
Arbeitsschritt auf
das Objekt legen:
Seine Eckkoordinaten
werden tachymetrisch
gemessen und
automatisch wird der
zugehörige entzerrte
Bildausschnitt
bestimmt. So kann
man rasch ein ganzes
Dreiecksnetz
aufbauen, das die
Oberfläche nach Art
der topografischen
Aufnahme
approximiert,
grobmaschig aber
gezielt, besonders
elegant unter
Einsatz der
Bildsteuerung einer
motorisierten
Totalstation (s.v.).
Die
Dreiecksvermaschung
bietet sich zur
Aufnahme und
Texturierung von
unregelmäßigen
Oberflächen an, vgl.
die Felsformation im
Vordergrund des
Modells.
Phototachymetrie
in der Anwendung
Eine
methodische Unterscheidung
lässt sich mit „Arbeit vor
Ort von der Aufnahme bis zum
fertigen Modell“ und
„Ermittlung der Grundformen
und ausgewählter Punkte vor
Ort, aber mit nachfolgender
häuslicher Bearbeitung“
beschreiben. Die Trennung
von Aufnahme und Auswertung
(vgl. Laserscannen und
Photogrammetrie) kommt den
technisch orientierten
Anwendern entgegen.
Bauforscher, Archäologen und
Denkmalpfleger legen
demgegenüber Wert darauf,
vor Ort zu dokumentieren, in
engem Kontakt zum Bauwerk.
Im
folgenden
Beispiel wurde in die
Aufnahme vor Ort und in die
häusliche Bearbeitung
getrennt. Dieses Vorgehen
kommt mit den einfachsten
instrumentellen
Voraussetzungen aus; ein
motorisiertes Tachymeter ist
dann nicht nötig. Dennoch
sei betont: Die
Phototachymetrie ist das
einzige Aufnahmeverfahren,
das die vollständige
Visualisierung vor Ort
erlaubt. Das virtuelle
Modell ist hierbei als
durchgreifende
Messungskontrolle wertvoll.
Ansichten des
detailreichen virtuellen
Modells des
Adlerturms in Dortmund
Vergleich
der Phototachymetrie mit
Laserscanning und
Photogrammetrie
Zur
besseren Einschätzung der
Möglichkeiten der
Phototachymetrie im
Verhältnis zu Laserscanning
und Photogrammetrie seien
einige Unterschiede und
Gemeinsamkeiten aufgezeigt:
Ein virtuelles Modell
benötigt i. a. wenige
charakteristische Punkte zur
Beschreibung der Geometrie.
Werden aus der Punktwolke
des Laserscannens
geometrische Primitive
extrahiert, wird die große
Anzahl an Messpunkten
drastisch reduziert. Trotz
Automation erfordert dies
immer noch manuellen
Einsatz. Anschließend wird
das geometrische Modell mit
Bildtextur überzogen, die
entweder einer Kamera
entstammt, die, verbunden
mit dem Laserscanner,
synchron Bilder liefert
(vgl. Einbaukameras in
Totalstationen), oder aberman
nutzt auch hier –flexibler
arbeitend- Bilder frei
beweglicher Kameras. Dann
muss jedoch wie in
Photogrammetrie oder
Phototachymetrie die äußere
Orientierung über Passpunkte
hergestellt werden, ein
Prozess, der beim
Laserscanning mit
Identifizierung und
Referenzierung genauso
aufwändig ist wie in der
Photogrammetrie oder beim
Einsatz der klassischen
Tachymetrie. In der
Phototachymetrie hingegen
ist sie schneller
durchführbar, da die
Zuordnung von Bild- und
Objektpunkt direkt Punkt für
Punkt erfolgen kann (s. v.).
In größeren Projekten und
bei gehobenen
Genauigkeitsansprüchen wird
beim Laserscanning wie auch
in der Photogrammetrie
tachymetrisch gemessen: zur
Verknüpfung der
Scannerstationen, zur
Einmessung von Marken usw.
Dieser nicht
verfahrensimmanente Aufwand
entfällt bei der
Phototachymetrie, weil diese
von Haus aus die Tachymetrie
benutzt.
Generell
lässt sich nicht sagen, wann
Laserscanning,
Phototachymetrie oder
Photogrammetrie ideal
einzusetzen sind. Bei
Objekten mit stark
undulierter, strukturierter
Oberfläche dürfte derzeit
das Laserscanning die
geeignete Methode sein; ein
engmaschiges Dreiecksraster
liefert, belegt mit
photorealistischer Textur,
gleich das virtuelle Modell.
– Kosten und apparativer
Aufwand sind jedoch
vergleichsweise hoch. Ist
das Bauwerk durch
Regelkörper hinreichend
großflächig zu
approximieren, so ist eine
phototachymetrische Aufnahme
von Vorteil: Schon während
des Aufnahmevorganges wird
generalisiert und Details
werden mit unterschiedlichen
Werkzeugen modelliert. Aber
auch die Aufnahme
unregelmäßiger Oberflächen
ist mit vergleichsweise
geringem Aufwand durch die
automationsunterstützte
Bildung eines
Dreiecksrasters möglich
(s.v).
Liegt
photogrammetrische
Erfahrung vor, wird man die
Photogrammetrie vorziehen,
sofern eine hinreichend
große Aufnahmebasis
realisierbarist. Dies ist aber
gerade bei der Bauaufnahme
oft ein Handicap. Dass bei
der Phototachymetrie
Einzelbilder ausreichen und
dass die
Koordinatengenauigkeit
prinzipiell homogen ist,stellt
einen Vorteil gegenüber der
klassischen Photogrammetrie
dar, die bei der
Koordinatenbestimmung mit
dem Vorwärtsschnitt der
Bildstrahlen arbeitet, diealso
zwei Bilder mit
ausreichender Überdeckung
benötigt. Die
Tiefenungenauigkeit wächst
überproportional (Abb. s.
unterenTeil derGrafik).
In
der Phototachymetrie
hingegen schneidet der
Bildstrahl den Regelkörper.
Er ist zwar der
Photogrammetrie entlehnt,
aber die Tiefengenauigkeit
ist(abgesehen
vom
Einfluss des Einfallswinkels
des Bildstrahls auf der
Objektoberfläche; schräger
Strahleinfall bewirkt
Abweichungen in Richtung
Messstrahl sowie quer hierzu
)durch
die tachymetrische
Genauigkeit bei der Messung
des Regelkörpers bestimmt
(Abb. s. oberer Teil der
Grafik):
Analog
dem Einfluß der
Richtungsungenauigkeit in der
Tachy-metrie verläuft die
Genauigkeits- abnahme nur
entfernungsproportional. Für
den Distanzbereich einer rein
tachymetrischen
Bauwerksaufnahme ist die
Punktgenauigkeit als homogen
und entfernungsunabhängig an
zu sehen. Gegenüber dem
reinen Laserscanning könnte
die Phototachymetrie gerade
wegen ihrer Flexibilität –
gezielte Aufnahme klarer
Strukturen mit wenigen Punkten
(Generalisierung vor Ort),
Flächenscannen stark
undulierter Gebiete,
universelle, beweglichere,
vorhandene, kostengünstige
Geräte - an Bedeutung
gewinnen. Unter welchen
äußeren Bedingungen sie
ökonomisch einzusetzen ist,
lässt sich genauer beurteilen,
sobald mehr Erfahrungen mit
den unterschiedlichen
Varianten an
verschiedenartigen Objekten,
im direkten Vergleich mit den
anderen Aufnahmeverfahren und
mit weiter verbesserter
Software vorliegen. Die
photogrammetrischen
Auswerteprogramme oder die
Software zur Bearbeitung der
Punktwolke des Laserscannens
sind ausgefeilt; für die
Phototachymetrie liegt nur ein
„Prototyp“ vor. PHOTON
(PHOTotachymetrische
ON-site-Aufnahme) baut auf dem
Programm TOTAL (Juretzko 2005,
s. Literaturverzeichnis) zum
intelligenten Scanning und zur
Steuerung der
Video-Totalstation auf und
liefert Geometrie und
virtuelles VRML-Modell.
Experimentelle Erfahrungen
ermöglichen die
Fortentwicklung der Software.
Es ist zu hoffen, dass
professionell erstellte
Software unter
Berücksichtigung der
Möglichkeiten scannender
bilderfassender Totalstationen
(Scherer, Lerma 2009, s.
Literaturverzeichnis) die
Phototachymetrie als präzise,
bildorientierte Methode mit
exzellentem
Visualisierungspotenzial einem
breiteren Anwenderkreis
erschließen wird.